Xaviers Blog: Ein Banker den das Leben schrieb. Eine Kolumne von Martina Bahl.Xavier kommt gerade von einem geschäftlichen Kurzurlaub nach Tschechien zurück, und er ist begeistert. Dort gibt es Schlösser, erzählt er uns, die kosten fast nichts und können sich durchaus mit jenen in der Bordeaux Region in Frankreich messen! Er ist ganz aufgeregt und telefoniert nebenher mit einem Immobilienmakler in Prag, der ihm bereits Termine für diverse Besichtigungen vorschlägt.

Was er denn über das Wochenende in Tschechien gemacht hat, wollen wir wissen. Xavier lacht und erzählt, dass er für einen guten Kunden eine Reise zum Junggesellenabschied organisiert hat. Da die Spesenregelungen und diese absolut schrecklichen Zeitgenossen der Compliance Abteilung in den letzten Jahren immer dreister geworden sind und man heutzutage kaum mehr Geld für Kundenpflege ausgeben darf, so erzählt uns Xavier, hat er sich für Tschechien entschieden. Dort seien die Dinge noch leistbar. Zudem könne in seiner Abrechnungsstelle und seiner Compliance Abteilung niemand Tschechisch, was bei der Abrechnung durchaus hilfreich sei. Abgesehen davon seien so manche Anbieter von nicht ganz leicht abrechenbaren Vergnügungsleistungen dort auch bereit, leicht veränderte Beschreibungen ihrer verkauften Dienstleistungen anzubieten. Seminare, Coaching und psychologische Schulungen könne man etwas leichter ersetzt bekommen als Tanz, Spiel und Spaß, erklärt uns Xavier mit einem Augenzwinkern. Nun gut, wir glauben zu verstehen was er meint und fragen nicht weiter nach.

Was das aber jetzt mit dem Schloss zu tun hat, fragen wir nach. Xavier muss seine Gedanken kurz sammeln. Er scheint im Geiste noch immer bei diversen Dienstleistungen zu hängen. Doch dann überschlägt er sich förmlich. Welch ein Glück es doch gewesen sei, dass er Tschechien gewählt hatte. Ein wunderschönes Land! Freundliche Menschen! Und vor allem diese vielen Schlösser! Noch dazu zu Spottpreisen, beinahe geschenkt!

Xavier zückt sein Handy und zeigt uns Fotos von einer Besichtigung, die er noch am Wochenende dank der guten Vermittlung und Organisation eines jener Unternehmer machen konnte, dessen Seminardienstleistung er in Anspruch genommen hatte für den Junggesellenabschied seines Geschäftspartners.

Das erste Foto, eine Aufnahme von ziemlich weit weg, sieht ganz gut aus. Der Park rund um das Anwesen ziemlich verwildert, aber der Trend, so denken wir, geht wohl einfach zurück zur Natur. Doch dann folgen die Nahaufnahmen. Mehrere Bäume wachsen durch das Fundament, Fenster sind eingeschlagen, Putz und Steine bröckeln von der Fassade, und das ganze Ding gleicht eher einer Ruine als einem wohnlichen Gebäude.

Xavier gibt zu, dass dieses Schloss etwas herunter gekommen ist, wie auch die meisten anderen, die zum Verkauf stehen. Aber immerhin ein Schloss! Er, Xavier, als Schlossherr! Das Wappen hat er bekanntlich schon, dazu die edlen Rennpferde, die er im Geiste bereits über das Anwesen galoppieren sieht.

Wir sehen Xavier hingegen ratlos zwischen Zementsäcken und Bauarbeitern stehen, mit Blick auf ein rapide sinkendes Bankkonto und einem nicht enden wollenden Renovierungsvorhaben, amtlichen Auflagen zum Denkmalschutz und jeder Menge Papierkram, den er selbstverständlich schon allein sprachlich nicht versteht. Doch selbst wir sehen vor unserem geistigen Auge die marode Eingangstür, über welcher das wunderschöne, teure, erst vor Kurzem kreierte Familienwappen von Xavier prangt.