Wo ist bloß Xaviers schönes, langweiliges, weißes Hemd abgeblieben? Und der teure, maßgeschneiderte Anzug? Die ungemütlichen Schuhe? Wir erkennen Xavier kaum wieder. Er trägt eine braune (!) Stoffhose, ein pinkes Poloshirt mit einem großen, grünen Blattmuster, dazu weiße (!) Sneaker und sogar, wir können es gar nicht fassen und schnappen nach Luft, ein Halstuch. Auf dem Kopf trägt er eine bunte Sonnenbrille, und das trotz Regen.
Nervös blättern wir im Kalender. Nein, es ist weder Karneval noch Freitag. Wir haben einen ganz gewöhnlichen Dienstag. So wie meistens, wenn wir Xavier treffen. Aber was um alles in der Welt ist los? Hat Xavier etwa seinen Job verloren? Wir machen uns auf das Schlimmste gefasst und setzen bereits unseren mitfühlendsten Gesichtsausdruck auf.
Dann das Aufatmen. Xavier hat seinen Job nicht verloren. Er hat sich auch nicht spontan Urlaub genommen oder einen freien Tag. Er kommt, wie meistens, direkt aus dem Büro. Wir blicken Xavier von oben bis unten und wieder bis oben an, mustern ihn, runzeln die Stirn und sind sichtlich verwirrt. Xavier lacht nur laut. Seine Bank hat beschlossen, dass jeder Mitarbeiter an Tagen, an denen er keinen Kundenkontakt hat, sich – wie es im Fachjargon der Banker heißt – „Business Casual“ kleiden darf.
Zaghaft fragen wir, ob damit tatsächlich pinke Polos zu braunen Hosen und weißen Sneakern gemeint sind. Xavier dreht sich vor uns wie ein Model von links nach rechts und posiert mit seinen neuen Kleidern. Ja, erklärt er uns, das sei der letzte Schrei! Der Verkäufer im exklusivsten Internetshop für Männermode habe ihn lange per Videochat beraten und ihm alles über die aktuellsten Modetrends beigebracht. Sein nun ganz persönlicher Shopping Assistent wird ihm ab jetzt jede Woche ein neues Paket mit wunderbaren Sachen für dieses „Casual“ Dingsda schicken, erklärt uns Xavier weiter.
Wir schütteln den Kopf. Was denn mit den weißen Hemden sei, auf die Xavier so große Stücke hält, wollen wir wissen. Xavier blickt traurig und presst die Lippen zusammen. Ja, das sei eine schlimme Sache. Als er die Nachricht gelesen hatte, dass er ab nun jeden Tag in „Business Casual“ zur Arbeit erscheinen sollte, konnte er nächtelang nicht schlafen. Er hatte ja keine Ahnung, was er anziehen sollte! Stundenlang stand er jeden Morgen vor dem Kleiderschrank und konnte erstmals in seinem Leben die Frauen verstehen, die ebenfalls jeden Morgen vor einem vollen Schrank klagten, sie hätten nichts, aber auch absolut gar nichts, anzuziehen. Es war schrecklich, ein wahrer Alptraum! Ein Banker ohne weißes Hemd, ohne Anzug und ohne teure Lederschuhe, das war schlicht und ergreifend unvorstellbar. Doch dann kam die Erleuchtung in Form dieses wunderbaren Online Herrenausstatters samt Stilberatung.
Immer noch gebannt betrachten wir Xaviers pinkes Polohemd und sind sprachlos. Während wir noch darüber nachdenken, was wir als nächstes sagen könnten, kommen zwei Männer in Richtung Xavier. Die drei kennen sich offenbar. Die beiden Männer klopfen Xavier auf die Schulter und gratulieren ihm zu einem Geschäftsabschluss. Offenbar sind es Kollegen oder Konkurrenten von Xavier, in jedem Fall aber wohl Banker. Noch vor einer Stunde hätte uns das überrascht. Denn auch diese beiden sehen aus, als kämen sie von einer legeren Sommerparty und wären unterwegs in diverse Farbtöpfe gefallen. Auch sie tragen jeweils ein Halstuch zu ihrem bunt bedruckten Poloshirt. Offensichtlich bedienen sie sich alle des selben, exklusiven Herrenausstatters aus dem Internet. Womöglich, und das scheint uns gar nicht so abwegig, haben sie auch den selben „persönlichen Stilberatungsassistenten“.
Wir betrachten das Trio eine kleine Zeit, lehnen uns danach bequem zurück und sind uns sicher, dass die Bank ihre Entscheidung zum „Business Casual“ bald wieder rückgängig machen wird. Denn, so stellen wir fest, die meisten Banker haben absolut kein Talent und kein Gespür für Mode, Kleidung oder Stil abseits von dunklen Anzügen, weißen Hemden und unbequemen Schuhen. Wir sind uns ziemlich sicher, dass wir Xavier bald wieder wie gewohnt in genau diesen sehen werden.