Xavier wirkt heute etwas durch den Wind. Kein Wunder, so erzählt er uns. Ein ganzes, langes Semester hatte er an einer kleinen Universität Studenten unterrichtet. Mit viel Hingabe und Ausdauer hatte er ihnen jede Woche Dinge über den Finanzmarkt beigebracht. Das dachte er zumindest. In Xaviers Vorstellung reiften unter seiner Führung viele, wunderbare Finanzgenies heran, die es in der großen Welt des Geldes dank ihm, dem großen Xavier, noch zu etwas bringen würden.

Doch dem ist nun offenbar die Ernüchterung gewichen. Xavier hat von den Studenten die Hausarbeiten übergeben bekommen, die sie im Anschluss an den Kurs schreiben mussten. Die Themen hatte ihnen Xavier vorgegeben, und wer wollte, konnte sich sein eigenes Thema wählen, das ihn interessierte. Es gibt ja so viele spannende Dinge über den Finanzmarkt, die man behandeln konnte, schwärmte Xavier seinen Studenten im Kurs vor.

Nun gut. Von den zwanzig Studenten hatte die überwiegende Mehrheit das einfachste Thema gewählt. Eines, bei dem man nicht wahnsinnig viel Ahnung von Finanzprodukten haben muss und im Internet auch alles sehr schnell recherchiert bekommt. Eine Studentin hatte sich einem der anderen beiden Themen zugewandt, und die restlichen Studenten hatten ein eigenes Thema gewählt. Letzteres zuzulassen, so sieht Xavier heute ein, war einer seiner größten Fehler.

Wir wollen von Xavier wissen, was denn so schlecht gelaufen sei. Xavier schüttelt nur müde den Kopf. Ihm fehlen die Wort! Das kennen wir von Xavier nun wahrlich nicht. Entsprechend schlimm muss es gelaufen sein, vermuten wir.

Langsam beginnt Xavier doch zu erzählen. So viel Unsinn wie in einigen dieser Hausarbeiten, so berichtet er uns, hat er in seinem Leben noch nicht gelesen. Eine der Arbeiten war eine solche Beleidigung und Zumutung an ihn, den engangierten Lehrer, dass ihm dafür die Worte fehlen. Nicht ein ordentlicher Satz, alles voll mit Fehlern, dazu haarsträubende, inhaltliche Behauptungen. Wäre es nur die Sprache, Rechtschreibung und Grammatik gewesen, Xavier hätte es auf ein schlechtes Übersetzungsprogramm für einen aus dem Internet kopierten Text geschoben. Aber nein, es war auch inhaltlich entsetzlich. Xavier fragte sich ernsthaft, wie dieser Student bloß die Grundschule geschafft hatte. Nach der Hälfte der Arbeit musste Xavier die Korrektur abbrechen, so schrecklich war es, diese Aneinanderreihung völlig sinnfreier Sätze zu lesen.

Beinahe dankbar war Xavier dann für die nächste Arbeit gewesen, die er lesen musste. Die wiederum war sprachlich und inhaltlich so übertrieben gut, dass sie von einem Nobelpreisträger stammen konnte. Und dies wahrscheinlich auch tat. Xavier war sich absolut sicher, dass der Student die Arbeit aus einem Fachbuch oder einem Fachartikel abgeschrieben hatte. Nur nachweisen konnte ihm das Xavier nicht. Der Student hat sich bei der Plagiats-Suche und der Verwischung seiner Spuren offensichtlich Mühe gegeben. Nun muss ihm Xavier zähneknirschend die Höchstzahl an Punkten geben. Die Arbeit war nunmal ausgezeichnet. Wenn auch nie und nimmer von einem 20-Jährigen verfasst.

Und so setzte sich das Grauen Arbeit für Arbeit fort, so berichtet uns der arme Xavier. In einer Arbeit schreibt die Studentin, Market Maker würden den Preis für Finanzprodukte festlegen. Der nächste verwechselt Forward Rate Agreement und Forward, erklärt Forward Rate Agreements zu den ältesten und wichtigsten Termingeschäften, lässt Käufer und Verkäufer von Put Optionen unendliche Gewinne und Verluste einfahren, und wenn es kompliziert wird ergeben die langen, verschachtelten Sätze einfach keinen klaren Sinn mehr. Dann wieder übernimmt die künstliche Intelligenz den Markt, wird sich auf 15 Jahre alte Quellen bezogen, unendliche Profite werden gesucht und gemacht, und überhaupt ist die Sache haarsträubend, seufzt der arme Xavier. Hat ihm denn während des gesamten Semesters nie jemand zugehört? Ist denn nicht mal ein kleines Fünkchen an Wissen bei den Studenten hängen geblieben?

Xavier schüttelt den Kopf. Er fragt sich, was wohl aus diesen Studenten werden sollte. Finanzgenies und Banker wohl eher nicht. Obwohl es der eine Student, der mit dem offensichtlichen Plagiat, vielleicht doch zu etwas bringen könnte, sinniert Xavier. So manch ein Banker oder Vorstand hätte auch nicht wirklich eine Ahnung davon, was im Finanzmarkt so vor sich ging, aber selbstsicheres Auftreten und lautes, wichtiges Reden würden das gut verbergen. Im Zweifelsfall schmückt man sich mit der Arbeit eines anderen, und schon ist wieder alles in Butter. Xavier beginnt zu grübeln und macht sich eine Notiz, dass er den Plagiats-Studenten im Auge behalten und ihm bei Gelegenheit einen Praktikumsplatz in der Bank anbieten sollte. Wenn Xavier so recht nachdachte, der konnte es tatsächlich noch zu etwas bringen!