Xaviers Blog: Ein Banker den das Leben schrieb. Eine Kolumne von Martina BahlDas Meeting ist relativ groß. Es umfasst etwa 20 Banker aus unterschiedlichen Abteilungen. Im Raum ist es viel zu warm, denn die Klimaanlage funktioniert nicht richtig. Mitten unter den schwitzenden Bankern sitzt Xavier. Er ist nicht zu übersehen. Aufgeplustert sitzt er da, die Arme vor der Brust verschränkt, darunter ein leichter Bauchansatz. Arroganter Blick, zu viel Gel in den schütteren Haaren, Schweißperlen auf Stirn und Nase. Einem guten Teil der Personen im Raum hat Xavier den Rücken zugewandt. Dazu ist er nie um einen Kommentar verlegen. Gleichgültig, ob jemand anders sich gerade anschickt, etwas zu sagen, oder sich mit dem Heben der Hand höflich zu Wort melden will: Xavier ist stets eine Nanosekunde schneller oder zumindest ein gutes Stück lauter als der andere Banker.

Bald dominiert Xavier mit seinen Wortmeldungen das Meeting. Nicht, dass er besonders viel oder wichtige Dinge zu sagen hätte. Aber er redet und redet, und hat zu jedem Thema einen Kommentar, der im Grunde nichts sagt aber jedes Mal kein Ende zu nehmen scheint.

Die anderen Banker rollen bereits mit den Augen, wenn Xavier wieder das Wort an sich reißt. Nicht nur das Wort übrigens, sondern auch alles andere im Raum, das es lohnt, an sich zu reissen. Da wäre der blaue Flipchart Stift, den er nicht mehr aus der Hand gibt und so die anderen Banker daran hindert, etwas aufzuschreiben. Oder der Flaschenöffner, den sich Xavier vom Getränkebuffet, das neben dem Eingang steht, einfach in die Hosentasche gesteckt hat. Sollen die anderen Banker ruhig Durst leiden, was kümmert das ihn?

In den wenigen Redepausen, die Xavier einlegt, und in denen andere Banker zu Wort kommen dürfen, sitzt Xavier demonstrativ da und tippt auf seinem Smartphone. Dabei hat er eine rege Mimik, lacht, schüttelt den Kopf oder runzelt die Stirn. Die anderen Banker hassen Xavier dafür. Aber im Grunde sind sie einfach nur neidisch, denn insgeheim möchten sie auch alle so sein wie Xavier und das Meeting dominieren. Einige, vor allem die Jüngeren, beobachten Xavier deshalb sehr genau und nehmen sich vor, im nächsten Meeting auch einen auf Xavier zu machen.

Bereits zwei Tage später ist Xaviers Alpha-Verhalten wieder vergessen. Schließlich ist man das hier von Bankern gewohnt. Was in der Erinnerung der anderen Banker und des Projektleiters bleibt ist die Überzeugung, dass Xavier für das Projekt, zu dem das Meeting stattgefunden hatte, die absolut zentralste und wichtigste Person ist.