Xaviers Blog: Ein Banker den das Leben schrieb. Eine Kolumne von Martina Bahl.Xavier sieht müde aus. Schwarze Augenringe, etwas blass im Gesicht, und selbst sein sonst so athletischer Gang ist einem leichten Schlurfen gewichen. Im Café bestellt Xavier gleich zwei double-shot Espressi. Wir sind überrascht, und freuen uns, dass uns Xavier heute einladen möchte. Aber nein, zu früh gefreut. Beide Espressi sind für Xavier. Wir müssen uns selbst ein Getränk bestellen.

Neugierig fragen wir nach, warum Xavier heute gar so erschöpft ist. Wir vermuten einen anstrengenden, volatilen Handelstag mit vielen Marktschwankungen und möglicherweise sogar herben Verlusten für Xaviers Budget. Aber nein, wieder liegen wir völlig daneben.

Xavier erklärt uns stolz, dass er vor einiger Zeit einen sehr lukrativen Geschäftsabschluss machen konnte. Er hatte uns doch davon erzählt. Der Abschluss, als sein Kollege dummerweise gerade zur Toilette musste. Ein großartiges Geschäft sei das gewesen. Das hatte der leitende Manager der ganzen Sparte zum Anlass genommen, das ganze Team gestern abend zum Nobelitaliener einzuladen. Der Deal musste schließlich ordentlich gefeiert werden. Wohlgemerkt, so betont Xavier, handelt es sich bei diesen Deal Feiern durchaus um Pflichtveranstaltungen. Ein Nichterscheinen wird vom Chef nicht toleriert.

Ein eigener Raum war dafür beim besten und wohl auch teuersten Italiener der Stadt reserviert worden. Mit immerhin knapp 20 Mann und keiner einzigen Frau bestellten sie sich zunächst einige besondere Grappas zum Aufwärmen. Gespeist wurden nur exquisite Happen, die von den drei eigens nur für die Banker abgestellten Servierkräften – ebenfalls nur Männer – unermüdlich gebracht wurden. Dazu eine Flasche Wein nach der anderen, und nach und nach richtig viel Testosteron in der Luft.

Xaviers amerikanischer Oberboss war ebenfalls bei der Deal Feier dabei. Schließlich musste ein dermaßen einträgliches Geschäft mit einer schönen Sause für die Banker gefeiert werden. In guter Banker-Manier brüsteten sich alle reihum, wie skrupellos und geschäftstüchtig sie andere über den Tisch ziehen konnten. Schwänke aus der eigenen Banker Junior Zeit wurden zum Besten gegeben, und die ein oder andere Geschichte, wie man selbst die Juniors und weniger erfahrenen Kollegen gequält und bloßgestellt hatte, dienten als Unterhaltung für die zunehmend betrunkenen Banker. Sie fühlten sich alle wie die Herrscher des Universums und sowieso wie die allerbesten und tollsten Banker, die es weit und breit gab.

Im Grunde waren Xavier diese Deal Feiern ziemlich zuwider, erklärt er uns. Früher war das anders gewesen. Als Xavier noch jung und frisch im Geschäft war, da hatte es noch eine ganz andere Art von Feier gegeben für große, lukrative, sogenannte „Elephant Trades“. Da feierten sie in Stripclubs oder sonstigen Etablissements. Die Zeiten hatten sich allerdings geändert, Compliance Abteilungen waren plötzlich und unerwartet an die Macht gekommen und diktierten seither den Bankern, im Restaurant zu feiern. Auch die Ausgaben waren gedeckelt worden. Alkohol war zwar noch erlaubt, aber die Flasche Domaine Armand Rousseau war nicht mehr möglich. Die Banker mussten sich mit etwas günstigeren Weinen und anderen Alkoholika begüngen. Was nicht weiter schlimm war, findet Xavier, denn schließlich zähle die Stimmung, und nach dem siebten Glas Whisky schmeckte das Glas Bordeaux für 10 Euro auch noch gut genug.

Dennoch, so gibt Xavier zu, hat er die Deal Feier wohl doch etwas zu sehr genossen. Dafür muss er heute büßen. Gemeinsam mit den anderen Bankern war heute das große Leiden angesagt. Wohlgemerkt, so betont Xavier, war trotz teilweise bedenklichen Nachwirkungen niemand der Kollegen krank zu Hause geblieben. Denn Schwäche zeigen, das ist nichts für Xavier und die anderen Banker. Schließlich, so betont Xavier, sei er ein richtiger Banker, und vor allem nicht zimperlich!

Danach nickt Xavier bestätigtend, holt eine Packung Aspirin aus der Tasche, drückt einige Tabletten heraus, spült diese mit dem zweiten doppelten Espresso hinunter und lehnt sich leidend im Stuhl zurück.

Wir nicken ebenfalls, spendieren Xavier aus Mitleid noch eine Flasche Wasser, und wünschen ihm gute Erholung von seinen beruflichen Strapazen.