Als wir Xavier heute treffen, sieht er etwas mitgenommen aus. Er humpelt leicht und verzieht das Gesicht schmerzverzerrt beim Hinsetzen. Wir machen uns Sorgen und wollen wissen, was los ist.
„Yoga!“, antwortet Xavier.
„Yoga?“, fragen wir ungläubig und sind sicher, dass wir uns verhört haben.
„Ja, Yoga!“, antwortet Xavier, diesmal leicht genervt.
Wir erfahren den Hintergrund. Xaviers Arbeitgeber legt neuerdings Wert auf ausreichend Fitness und Bewegung der Mitarbeiter. Dafür erhält jeder eine Mitgliedschaft im hauseigenen Fitness-Center, und dazu die sehr deutliche Aufforderung, dass jeder mindestens eine Stunde pro Woche dort entweder einen Kurs besuchen oder mit einem Trainer an Kraftgeräten trainieren solle. Die Anwesenheit im Studio würde in der Personalakte erfasst und mit in die Gesamtbewertung am Jahresende einfließen. Klartext: Kein Fitness-Studio, möglicherweise kein Bonus, wenn der Chef eine Ausrede suchte.
Xavier fühlt sich beim Thema Fitness-Studio etwas unwohl, wie er uns erzählt. An den Kraftgeräten neben den jungen Juniors, die mit ihren Anfang 20 noch Energie ohne Ende hatten, allein der Gedanke daran ließ Xavier übel werden. Auch wenn Xavier jetzt wieder relativ volles Haar und ein jugendlich straffes Gesicht hatte, Botox-Kreuzfahrt war Dank, die Energie der Jugend und möglicherweise auch die Motivation der Jugend hatte ihn irgendwann verlassen.
Die vermeintliche Lösung sah Xavier in einem ganz wunderbar klingenden Kurs: Yoga. Jeder kennt das doch aus Hollywood Filmen: Reihenweise liegen schöne Menschen auf bunten Matten, räkeln sich mal nach links, mal nach rechts, heben ein Bein und meditieren im Sonnenaufgang.
Wir nicken, denn auch wir kennen diese Klischee-Bilder.
„Yoga!“, ruft Xavier wieder, diesmal sehr verächtlich. „Yoga!“
Tatsächlich, so erzählt uns Xavier, wird der bankeigene Yoga-Kurs von einer schrecklichen, sadistischen Trainerin geleitet. Von wegen Entspannung im Sonnenaufgang! Die Übungen sind anstrengend, erzählt uns Xavier, und alle anderen Teilnehmer am Kurs sind deutlich biegsamer als er. Also nimmt sich die sadistische Trainerin, die laut Xavier entweder direkt aus der Hölle oder mindestens aus der Armee kommen muss, ihrem schwächsten Teilnehmer besonders an: Unserem Xavier.
Wir haben Mitleid mit Xavier, der sichtlich Schmerzen hat. Wie lange der Kurs denn noch geht wollen wir wissen. Xavier ist verzweifelt. Leider dauert der Kurs noch mindestens sechs Monate, und alle anderen Kurse sind voll. Aber wenn er es sich so recht überlegt, vielleicht wäre ein Training in der Kraftkammer mit seinen jungen Kollegen doch nicht so schlimm. Er will es ausprobieren. Denn Yoga, das weiß Xavier nun, ist nichts für ihn.