Xavier ist erschöpft. Am Ende seiner Kräfte nach einer langen, schneereichen Abfahrt sitzt Xavier endlich wieder in der Gondel nach oben. Von seinen zahlreichen, unfreiwilligen Ausflügen in den Tiefschnee des Pistenrandes ist er bis auf die Haut nass. Mag sein, dass es auch am Schweiß liegt, denn dieses ständige Hochstämmen, verlorene Schi im Tiefschnee suchen, diese dann mühsam zur Piste tragen und dort unter erschwerten Bedingungen – die Piste ist schließlich abschüssig und zudem klebt der Schnee unten an den Schuhen – wieder anzuschnallen, das bringt einen ordentlich ins Schwitzen. Entsprechend ist Xavier hochrot im Gesicht und fühlt sich, als wäre er bereits einen Marathon gelaufen. Dabei ist es gerade erst 10 Uhr vormittags.

Wir haben Mitleid mit Xavier und schlagen ihm vor, auf einen kurzen Abstecher in die Hütte einzukehren, die sich neben der Bergstation der Seilbahn befindet. Vor allem, so sagen wir Xavier, hätten wir gehört, die Aussicht über das Tal sei um diese Uhrzeit besonders imposant. Das wäre bestimmt etwas für die Helmkamera und den Livestream! Damit können wir Xavier locken, und er nickt erschöpft. „Natürlich, die Aussicht!“ bringt er hervor und folgt uns mit einigem Abstand zur Hütte. Auf dem Weg fallen ihm die Schi immer wieder aus den Armen. Er trägt sie aber auch eher umständlich, und sieht gerade gar nicht wie ein Profi aus.

In der Hütte angekommen, können wir uns noch den besten Platz aussuchen. Alle Tische sind noch frei. Wir freuen uns und steuern direkt auf einen großen, massiven Holztisch neben dem Kachelofen zu. Doch da merken wir, dass wir Xavier nicht mehr hinter uns haben. Wir blicken uns um und entdecken ihn, wie er zielstrebig auf die Bar zusteuert. Wir seufzen, werfen unserem schönen Tisch einen letzten Blick zu, und setzen uns zu Xavier auf einen der Barhocker.

„Schnaps“, japst Xavier dem Barkeeper zu, der noch dabei ist, die Kaffeemaschine zu reinigen und sich auf den Ansturm vorzubereiten, der ab der Mittagszeit folgen wird.

„Zirbe?“ fragt der Barkeeper.

„Ja, was auch immer das ist, her damit. Eine Runde! Nein, am besten gleich zwei!“ antwortet Xavier.

Xavier stellt seinen Helm auf die Bar, aktiviert die Kamera und ist wieder voll im Livestream. Wir denken an die Banker, die jetzt bestimmt neidisch auf Xavier blicken, der bereits am Vormittag über Schnaps aus Hochgebirgszapfen sitzt.

Beim ersten Schluck verzieht Xavier noch das Gesicht. Dann nickt er, trinkt auch das zweite Pinnchen aus, und bedeutet dem Barkeeper, gleich nochmal aufzufüllen: „Schmeckt wie ein Aufguss in der Sauna!“  Er prostet seinem Helm zu, danach uns, und schon hat er den dritten Zirbenschnaps getrunken.

Bereits gegen elf Uhr vormittags merken wir, dass wir auf dem Weg zur Toilette stark schwanken. Mit den schweren Schischuhen ist der Weg die geflieste Treppe hinunter zu den Waschräumen eine kleine Herausforderung, doch wir machen es Xavier nach und klammern uns tapfer an das schmiedeeisene Geländer. Zum Glück haben wir noch so viel an klaren Gedanken, dass wir Xaviers Helmkamera deaktivieren, kurz bevor dieser die Toilette betritt. Wohl sehr zum Leidwesen der Livestream-Fans.

Gegen Nachmittag ist dann angeblich der Zirbenschnaps aus. Xavier blickt enttäsucht, zumindest vermeinen wir das durch unseren etwas unscharf gewordenen Blick zu sehen. Danach verfrachten uns der Barkeeper und der Hüttenwirt gemeinsam in die Seilbahn nach unten. Die Schi dürfen wir oben auf der Hütte lassen und morgen holen. Xavier lallt dem Hüttenwirt zu, er solle bis morgen noch ein bisschen Tannenbaumschnaps brennen. Der lacht und nickt, und schon schließt sich die Tür der Gondelbahn.

„Schifahren ist anstrengend!“ stöhnt Xavier. Ja, denken wir uns, besonders der Einkehrschwung!