Xavier erhält immer wieder Anrufe von Headhuntern. Meistens wollen ihm diese irgendwelche Jobs schmackhaft machen, die Xavier nicht sonderlich interessieren. Schließlich möchte sich Xavier beruflich nicht verschlechtern. Das betrifft nicht nur das Gehalt, sondern auch den Namen der Bank, für die er arbeitet. Niemand geht freiwillig von einer klingenden Adresse zu einer Randerscheinung. Eine Ausnahme wäre für Xavier eventuell eine tolle, leitende Position, aber so etwas wurde ihm bisher noch nicht angeboten, und wird es wohl auch nicht mehr.

Für Xavier sind die Anrufe der Headhunter meistens sogar etwas schmerzhaft, denn dann muss er sich jedes Mal eingestehen, dass ihm einfach nicht die besten Jobs im Markt angeboten werden. Er kommt scheinbar weder für die absoluten Spitzenhäuser noch für die oberen Positionen in Betracht.

Doch eines schönen Nachmittags dieser Tage, so erzählt uns Xavier, bekam er einen Anruf von einem ihm bisher noch nicht bekannten Headhunter. Dieser gab sich sehr geheimnisvoll und sprach von einer Chance bei einem ausgesprochen renommierten Haus, die sich nur ganz selten bieten würde. Näheres könne er aber am Telefon nicht sagen, sondern müsse sich mit Xavier persönlich treffen. Natürlich nur, sofern dieser überhaupt ein Interesse daran hätte, sich beruflich und vom Gehalt her zu verbessern.

Geschickt eingefädelt, dachte Xavier, aber er war neugierig geworden und stimmte einem Treffen zu. Und so kam es, dass sich Xavier in eine kleine Espresso Bar in der Nähe seiner Bank begab. Völlig harmlos setzte er sich an die Theke, bestellte einen doppelten Espresso, wie das ein richtiger Mann von Tat so tun würde, und schaute sich verstohlen um. Wer mochte wohl der mysteriöse Headhunter sein?

Es dauerte auch gar nicht lange, da setzte sich ein etwas korpulenterer Mann um die Fünfzig neben Xavier. „Sie sind bestimmt Xavier?“ fragte ihn der Mann. Xavier nickte. Die beiden tauschten Visitenkarten aus. Darauf folgte etwas Smalltalk über die Qualität des Kaffees, das Wetter natürlich und die allgemeine Lage im Bankensektor. Xavier wollte nicht zu pessimistisch erscheinen und hielt sich bei letzterem Thema zurück. Schließlich sollte der Headhunter nicht wissen, dass sich Xavier jeden Tag Sorgen um seinen Job machte und sowieso sehr schwarz sah, wenn es um seine Zukunft in der Branche ging.

Irgendwann war Xavier den Smalltalk leid. Er schaute demonstrativ auf seine Uhr und fragte: „Welche Position haben Sie denn derzeit zu besetzen?“

Der Headhunter wirkte etwas verlegen und begann, die Position, für die er angeworben wurde, in den höchsten Tönen zu loben, ohne dabei aber die Bank zu erwähnen, um die es ging. Das Fixgehalt wäre hoch, die Verantwortung sowieso, und überhaupt käme nur jemand sehr Erfahrenes in Betracht. Xavier wurde ungeduldig. Dafür hatte er sich eigens unter einem Vorwand aus dem Büro geschlichen? Auf Xaviers Drängen hin nannte der Headhunter doch noch den Namen der Bank. Nun gut, dachte Xavier, nicht die Adresse meiner Träume, aber es hätte schlimmer kommen können. Jetzt, wo er schon einmal hier sei, könnte er sich die Sache auch nochmal genauer anhören.

Xavier wusste, dass er nicht allzu viel Begeisterung zeigen durfte. Am besten gar keine. Das stärkte seine Verhandlungsposition. Nur nicht zu interessiert wirken. Das tat Xavier dann auch nicht. Er warf nochmal einen demonstrativen Blick auf seine Uhr, kippte den Rest seines Espressos mit einem großen Schluck hinunter, dass es ihn innerlich schauderte bei dem bitteren Bräu, und stand von seinem Barhocker auf.

„Ich denke über die Sache nach. Lassen Sie uns in Kontakt bleiben. Aber jetzt muss ich wirklich los. Gleich kommen wichtige Zahlen über den Ticker, da muss ich wieder am Platz sein, denn ein großes Geschäft hängt davon ab!“ sagte Xavier, während er sein Mobiltelefon und die Visitenkarte des Headhunters in die Tasche steckte. Das mit den Zahlen und dem wichtigen Geschäft stimmt natürlich nicht, war aber immer eine gute Masche, die in der Regel beeindruckte. Der Headhunter hatte mit Sicherheit keine Ahnung, welche Zahlen wann veröffentlicht wurden und schon gar nicht, ob diese überhaupt irgendeine Relevanz hatten. Meist hatten nicht mal die Chefs von Xavier oder Mitarbeiter anderer Abteilungen davon eine Ahnung. Deshalb war die Story mit den wichtigen Zahlen stets eine perfekte Methode, langweilige Meetings oder Gespräche vorzeitig zu beenden. Dazu aber ein anderes Mal mehr.

So verabschiedete sich Xavier von seinem Headhunter. Dieser war sichtlich beeindruckt von Xavier und wollte sich nach Rücksprache mit seinem Auftraggeber mit konkreteren Informationen bei ihm melden. Das klang doch nicht schlecht, dachte Xavier, und für einen Moment fühlte er sich wieder stark, begehrt und unbesiegbar. Wer hatte hier Angst um seinen Job? Doch nicht Xavier!