Gibt es für institutionelle Investoren unabhängige Beratung im Finanzmarkt? Wie unabhängig ist die Beratung tatsächlich, die von Banken und Vermittlern im Kapitalmarkt gegenüber Versicherungen, Stiftungen, Versorgungswerken, Unternehmen, Kommunen und Fonds erbracht wird?
Gerade für institutionelle Investoren ist es schwer, sich unabhängig zu informieren. Als professionelle Gegenparteien gelten sie zudem nicht als schutzbedürftig im Sinne von Mifid. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass Stiftungsvorstände, Fondsmanager, Finanzvorstände und Geschäftsführer ausreichend Wissen haben, um als ebenbürtige Partner der großen Banken über Derivate, Swaps und strukturierte Produkte entscheiden zu können.
In der Praxis ist es aber so, dass viele der heute verwendeten Finanzprodukte und Kapitalmarktthemen sehr komplex sind und ein so spezielles Wissen erfordern, wie es in normalen Unternehmen, Versicherungen, Versorgungswerken, Fonds und Stiftungen in der Regel nicht in ausreichendem Maß vorhanden ist. Gerade bei Produkten wie komplexeren Zinsderivaten, Kreditderivaten, strukturierten Investments, Swaps und Repackaged Notes ist das Spezialwissen zu Aufbau, Funktionsweise und vor allem der korrekten Bewertung nur wenigen Spezialisten vorbehalten. Diese wiederum sitzen zu einem überwiegenden Teil bei genau den Banken, welche diese Produkte anbieten und verkaufen.
Die Banken also, die die nötige Expertise hätten, haben kein Interesse an unabhängiger Honorarberatung, schon gar nicht für institutionelle Investoren. Schließlich wollen sie ihre Produkte zu möglichst hohen Preisen verkaufen. Daran verdienen sie sehr gut. Es wäre geradezu geschäftsschädigend, die Käufer ihrer Produkte an ihrem proprietären Spezialwissen teilhaben zu lassen.
Die nächsten, die sich auskennen könnten, wären die großen Wirtschaftsprüfer, die aber eher auf Projekte und Prozesse spezialisiert sind und die Bewertung oder Analyse einzelner Produkte und Portfolien nicht auf ihrem Radar haben. Zudem fehlt hier meist auch die tiefgreifende Expertise, die erforderlich ist, um komplexe Derivate und Finanzprodukte zu durchleuchten. Eine unabhängige Beratung zu einzelnen Finanzprodukten gibt es deshalb hier ebenso wenig.
Was ist mit all den Anbietern diverser Software? Für teures Geld kann sich jeder verschiedene Programme kaufen, mit deren Hilfe man angeblich selbst strukturierte Swaps und Derivate bewerten kann. Ohne Vorkenntisse. Ohne Aufwand. Den praktischen Nutzen und die Qualität dieser Programme stelle ich in Frage, denn ohne ein tiefgreifendes Verständnis der Funktionsweise der einzelnen Bestandteile, marktaktueller und vom Benutzer auf Plausibilität und Aktualität überprüften Volatilitätskurven und Korrelationen ist die Verwendung eines solchen Programms eher riskant als hilfreich. Wie will der Nutzer die Richtigkeit des Ergebnisses feststellen, wenn er die Zusammenhänge, Parameter und Einzelbestandteile nicht kennt und überprüfen kann? Zudem ersetzt eine reine Bewertungssoftware leider auch keine unabhängige, fachkundige Beratung.
Schließlich stehen sich die Investoren noch selbst im Weg zu unabhängiger Finanzmarktberatung. Es ist eine Sache, als Privatperson zuzugeben, dass man ein Finanzprodukt oder Investment nicht versteht. Aber als Finanzvorstand, Fondsmanager, Kämmerer oder Stiftungsvorstand scheint es vielen geradezu unmöglich, zuzugeben, dass er oder sie den Swap, das Derivat, die komplexe Struktur oder das strukturierte Investment, das einem angeboten wird oder das man bereis im Bestand hat, nicht durchblickt. Dabei sollte es niemandem peinlich sein, Fragen zu stellen oder sich eine unabhängige, zweite Meinung einzuholen. Denn viele der Produkte sind mittlerweile so komplex geworden, dass sie jemand, der nicht täglich mit genau diesen Spezialprodukten zu tun hat oder Teil des innersten Kreises der Strukturierer ist oder war, auch gar nicht durchblicken kann. Ein Finanzvorstand eines Unternehmens ist täglich mit vielen wichtigen und komplexen Entscheidungen konfrontiert. Sich ein tiefgreifendes Spezialwissen etwa zum Thema exotischer Zinsderivate aufzubauen, dazu fehlt es schlicht an Ressourcen und vor allem Zeit.
Es ist an der Zeit, dass auch institutionelle Investoren über eine unabhängige Honorarberatung nachdenken.