Ob wir nun positiv oder negativ beeindruckt sind von Xaviers Repertoire an Schimpfwörtern, das wissen wir noch nicht genau, aber beeindruckt sind wir in jedem Fall. Denn eine ganze Tirade dieser Ausdrücke entweicht aus Xaviers Mund. Da wir uns in der Öffentlichkeit befinden, sehen wir uns peinlich berührt um und werfen dem ein oder anderen, der uns erbost ansieht, einen entschuldigenden Blick zu. Besonders der älteren Dame, die ihrem Enkelkind die Ohren zuhält und das sichtlich interessierte Kind an uns vorbei zerrt. Wir überlegen, ob wir irgendeine Ausrede erfinden sollten, etwa ein Leiden am Koprolalie Syndrom, aber wir lassen es bleiben. Das würde die Sache wohl ohnedies nicht besser machen.

All das stört Xavier nicht. Er macht munter weiter. Die Liste böser Beschimpfungen ist lang, die Xavier zum Besten gibt. Darunter finden sich sowohl gängige, oft gehörte Ausdrücke ebenso, wie sehr seltene und teilweise wohl auch von Xavier gerade erfundene wieder. Vielleicht, so denken wir irgendwann, könnte Xavier damit sogar einen Rekord aufstellen und einen Preis gewinnen. Wenn es denn so etwas gäbe. Was wir selbstverständlich nicht hoffen. „Der Banker-Preis für den Größten Schimpfwörterwortschatz geht an…“, nein, nein, schnell schütteln wir diesen irren Gedanken ab und lassen Xaviers Schimpfwörter weiter auf uns niederprasseln.

Dabei sind gar nicht wir das Ziel von Xaviers Schimpfattacke, sondern seine Compliance Abteilung. Diese ist allerdings nicht zugegen, also müssen wir als Ersatz herhalten und uns Xaviers Wutausbruch anhören. Als stets verständnisvolle und geduldige Zuhörer warten wir deshalb ohne viel Gegenwehr ab, bis sich Xavier einigermaßen beruhigt hat. Nach und nach gehen ihm ohnedies die Schimpfwörter aus, und nach der dritten oder vierten Wiederholung sieht selbst er ein, dass es nun wohl genug ist.

Dabei hatte alles so harmlos begonnen, erzählt uns Xavier kopfschüttelnd, als er wieder normal atmen und jugendfrei sprechen kann. Eigentlich hatte sich Xavier bloß mit einem anderen Kollegen spaßeshalber im firmeninternenen Chat System über die und das und diesen und jenen unterhalten. Vielleicht, so gibt Xavier zu, seien dabei auch einige nicht ganz jugendfreie Worte geschrieben worden. Aber schließlich sei das ein Chat unter erwachsenen Männern gewesen.

Der Chat hatte dann wohl in der Compliance Abteilung der Bank irgendwelche Alarme ausgelöst. Denn plötzlich, so Xavier, hätte sich ein dritter Chatpartner zugeschalten und Xavier und seinen Kollegen aufgefordert, bitte auf ihre Sprache zu achten und von bösen Wörtern Abstand zu nehmen.

So gemaßregelt zu werden, das gefiel offensichtlich weder Xavier noch seinem Kollegen, und es folgte wohl eine kleine Flut an nicht allzu netten Sätzen und Wörtern in Richtung des sich einmischenden Compliance Mitarbeiters. Dieser deaktivierte daraufhin die Chat Funktion von Xavier und seinem Kollegen, und die beiden wurden umgehend zu ihrem Chef zitiert.

Tja, und nun hat Xavier eine Verwarnung am Hals und muss nächste Woche ein Training zum Thema „konfliktfreie Kommunikation“ besuchen. Xavier schäumt vor Wut, als er uns die Geschichte erzählt, und schon folgt wieder eine wilde Schimpftirade über die freundlichen Mitarbeiter der Compliance Abteilung. Big Brother lässt grüßen. Wir hingegen grübeln darüber nach, wie wirkungsvoll das bevorstehende Training bei jemandem wie Xavier wohl sein kann.