Xavier hatte vor einigen Jahren einen Kollegen, nennen wir ihn Rudolf. Rudolf war eine nicht ganz untypische Erscheinung im Finanzwesen. Stets gut und teuer gekleidet, das iPhone samt Platinumkreditkarten in der Tasche, ein leicht arroganter Gesichtsausdruck, wenn er mit seinem sportlichen Luxusschlitten in die Firmenparkgarage gefahren kam, und sein etwas überhebliches Gehabe und angeberisches Gerede, was Frauen, Autos, Urlaube und Partys betraf. Aber das fiel nicht weiter auf, denn um ihn herum waren viele Rudolfs, und die Firmengarage war tagsüber gut gefüllt mit teuren, PS-starken Autos, die eigentlich nicht zum Alter ihrer Besitzer passten, aber darüber mag man unterschiedlicher Meinung sein.

Rudolf also, so erzählt Xavier, erweckte stets den Eindruck, über alles erhaben zu sein und alles zu wissen. Xavier freilich zweifelte etwas daran, denn er hatte den Verdacht, dass hier nicht alles Gold war das glänzte, und sich Rudolf gar nicht so gut auskannte mit den Investments, die er tätigen sollte. Doch den Chef hatte Rudolf gut geblendet mit seinem Gehabe, und so war Rudolf bald selbst Leiter einer ganzen Abteilung.

Rudolf, so erzählt Xavier weiter, wurde bald von vielen Investmentbankern angerufen und besucht. Sie alle wollten Rudolf ihre tollen Produkte verkaufen. Rudolf fühlte sich geschmeichelt und wichtig. Also kaufte Rudolf viele Investments von seinen neuen Freunden, die eigens für ihn aus Frankfurt, London und sogar New York angereist waren. Er kaufte von ihnen nicht nur einfach Aktien oder Staatsanleihen, sondern verbriefte Kreditderivate, strukturierte Anleihen mit Zinsoptionen und Währungsoptionen, in SICARs verpackte Hedgefondsanteile, Zertifikate und Optionsscheine auf spezielle Indices, denen nochmals gehebelte Kreditderivate und Zinsswaps zugrunde lagen, und noch einige andere sehr illiquide Kapitalanlagen.

Leider stellte sich nach einigen Jahren heraus, dass die Investments nicht so erfolgreich waren, wie gedacht. Ganz im Gegenteil. Der Fonds war tief in die roten Zahlen gerutscht und es bestand keine Hoffnung auf Besserung. Die Investments waren zudem sehr illiquide und fanden keinen Käufer, zumindest nicht zu einem akzeptablen Preis. Zudem hatte Rudolf die Produkte, wie sich herausstellte, auch völlig überteuert eingekauft. Auf die Frage, warum er erstens diese riskanten und damit ungeeigneten Produkte gekauft und dann nicht mal den Preis überprüft hatte, konnte Rudolf keine Antwort geben. Nur die, dass er seinen Investmentbankerfreunden vertraut hatte. Die waren ja alle so nett gewesen und hätten ihm plausibel erklärt, dass er damit tolle Gewinne machen könnte.

Xavier allerdings hatte eine Vermutung: „Rudolf konnte und wollte nicht zugeben, dass er nicht so viel Ahnung hatte, wie er immer vorgab. Also tat er klug, und ließ sich so über den Tisch ziehen. Er bezahlte eine „Dummheitsprämie“, wie ich sie gerne nenne. Ein bisschen so wie das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Die Investmentbanker haben sich wahrscheinlich ins Fäustchen gelacht und sich über Rudolf lustig gemacht.“

Xavier hat noch eine andere Vermutung: „Solange es Rudolfs gibt, wird es auch überhebliche Banker geben, die eine Dummheitsprämie kassieren und damit reich werden. Es hilft nicht, über die bösen Banker zu schimpfen, wenn wir uns nicht selbst an der Nase packen. Die Nachfrage schafft das Angebot, und nicht umgekehrt!“