Martina Bahl, Ihre unabhängige Rednerin, Vortragende zu Fachthemen und Schulungsleiterin mit Spezialgebiet Fixed Income, Finanzderivate, Swaps und Risiko ManagementGanz aufgeregt erzählt uns Xavier, dass er ab jetzt mehr Sport machen wird. Der Arzt hätte es ihm doch empfohlen, erinnert er uns, und seine jungen Kollegen hätten schließlich auch Zeit, ihre Muskeln zu trainieren. Der aktuelle Trend unter den Bankern, so Xavier, sei das Rennradfahren.

Also begleiten wir Xavier in einen großen Radsportladen. Ein Verkäufer ist schnell gefunden, denn Xavier will durchaus eine beachtliche Summe ausgeben. Eine komplette Rennradausrüstung möchte er sich zulegen, sagt er dem Verkäufer. Dieser mustert Xavier von oben bis unten und fragt zögerlich, wie viele Jahre Erfahrung Xavier denn schon mit dem Radrennsport habe. Xavier antwortet mit einem überheblichen, lauten Lachen, klopft dem Verkäufer mit viel Kraft auf den Rücken und meint: „Erfahrung mit dem Radfahren? Ach, guter Mann, ich trainiere seit Jahren, was sage ich, Jahrzehnten, jede Woche auf den Rädern im Fitnesscenter. Die haben dort stets die neuesten und besten Modelle. Also bitte, junger Mann, einmal das komplette Paket, samt Schuhen und einem dieser schnittigen Anzüge!“

Der Verkäufer schaut hilfesuchend zu uns, aber wir zucken nur mit den Schultern und heben etwas ratlos die Augenbrauen. Was sollten wir auch machen? Xavier würde weder uns noch dem Verkäufer zuhören. Wieso also unsere Zeit damit verschwenden ihm den Unterschied zwischen Fitness-Standrad und einem Rennrad erklären. Also verbringen wir die nächste Stunde damit, ein Rennrad auszusuchen. Die günstigen Einsteigermodelle tut Xavier – wie könnte es auch anders sein – schnell ab. Zu billig, zu wenig schnittig, zu klobig, und einfach nicht in der richtigen Preisklasse. Der Verkäufer blickt verzweifelt. Wir ziehen ihn zur Seite und fragen leise, ob er denn eine Umsatzprovision erhalten würde. Ja, doch, meint dieser, aber. Nichts da aber, antworten wir ihm, es hätte sowieso keinen Sinn, und dieser Mann hier wolle einfach richtig viel Geld ausgeben und vorher wäre er ohnedies nicht zufrieden. Also sollte er mal über seine ohnedies in unserer Welt selten gewordenen Skrupel hinwegsehen und Xavier zu den Profimodellen führen. Und, so fügen wir mit einem Augenzwinkern hinzu, ihm gleich noch den Profianzug zum Anprobieren geben.

Der Verkäufer durchschaut unseren Plan offensichtlich nicht, aber das macht nichts. Brav nimmt er Xavier zur Ecke der Profirennräder mit. Dort wählen sie eines der besonders teuren Modelle, und dann geht es schnell. Noch der teure Anzug, ein schnittiger Helm, die Handschuhe, richtigen Schuhe, eine Brille sowieso, und dann ab in die Umkleide.

Es dauert einige Zeit, bis sich Xavier in den engen Anzug gequält hat. In der Zwischenzeit betritt eine kleine Gruppe Radrennfahrer den Laden. Die fünf Männer sind sichtlich älter als Xavier, aber sehr durchtrainiert, mit sehnigen, muskulösen Beinen und Armen, braun gebrannt, selbstverständlich rasiert, und ihre leuchtend bunten Rennanzüge sitzen wie eine zweite Haut auf ihren hageren Körpern. Sie steuern genau in Richtung der teuren Profiräder und fragen gezielt nach besonderen Ersatzteilen. In genau dieser Sekunde verlässt Xavier die Umkleide.

Der Kontrast zwischen der Gruppe älterer Radrennsportler und Xavier wirft nicht nur uns beinahe um. Der Verkäufer muss sich weg drehen, um sein Grinsen zu verbergen. Xavier wirkt im Vergleich wie ein Gorilla mit neongelbem Trikot. Dichte Körperbehaarung an Armen und Beinen, dazu helle Haut. Das ist kein Wunder, schließlich sieht Xavier die Sonne in der Regel nur auf Bildern im Wetterbericht. Die kleine Rolle Bauchfett, leichte Fettbrüste sowie jegliche Abwesenheit eines sichtbaren Sixpacks machen das Bild nicht besser. Der Anzug sitzt sehr spack an Xavier und der Verkäufer ruft ihm zu aller Leute Vergnügen noch quer durch den Laden zu, dass er gleich mal im Lager nachsieht, ob er den Rennanzug auch noch in Übergröße vorrätig hat.

Xavier ist die Situation nun sichtlich unangenehm. Doch so schnell will sich der stolze Banker nicht geschlagen geben. Zielstrebig steuert er auf das Rad zu, das er sich zuvor ausgesucht hat. Die Gruppe Radsportler blickt bewundernd und voller Neid auf das Rad. So, sagt Xavier zum Verkäufer, jetzt wolle er damit schon mal eine Runde drehen. Der Verkäufer blickt verzweifelt und versucht Xavier ein letztes Mal zu überreden, doch lieber auf ein Eisteigermodell zu wechseln. Doch davon will Xavier nichts hören. Gemeinsam schieben sie das Rad in den hinteren Bereich des Ladens, wo Rollen aufgebaut sind, auf denen sich Rennfahrer mit ihren Rädern aufwärmen. Die Gruppe Radfahrer will unbedingt mitkommen, denn dieses Rad sei schließlich der Traum eines jeden, der den Sport ernst nehme.

Xavier blickt auf die Rollen und scheint damit anfänglich nicht zufrieden. Wir erinnern ihn, dass es dann fast so wie im Fitnesscenter sei, und Xavier gibt sich zufrieden. Für eine erste Einstellung des Rades würde das schon genügen. Der Verkäufer zeigt Xavier, wie er das Rad auf den Rollen fahren soll. Doch Xavier lächelt nur müde, lässt sich hochhelfen und tritt beherzt in die Pedale.

Dann geht alles sehr schnell. Zuerst wackelt das Rad, Xavier verliert die Balance, und in hohem Bogen landet er auf dem Boden. Glücklicherweise sind die fünf älteren Herren schnell zur Stelle, retten das Rad und danach auch Xavier. Dieser bedankt sich mit einem Murren und verschwindet in der Umkleide, gefolgt von einem sehr besorgten Verkäufer, der immer wieder fragt, ob sich Xavier denn verletzt habe. Die fünf Radsportler, die mit dem Rad allein auf den Rollen zurück geblieben waren, wechseln fragende Blicke, grinsen, und dann springt schon der erste auf das tolle Rad, um es auszuprobieren.

Zwanzig Minuten später verlassen wir mit Xavier den Fahrradladen mit einem sündhaft teuren Elektrofahrrad.