Xavier erzählt uns aufgeregt, dass er dieses Jahr beim Oktoberfest war. Die Banker einer anderen Bank, mit der Xavier die letzten Monate eigens fleißig Geschäft gemacht hat, haben ihn eingeladen. Mit vielen anderen Bankern war er in einem der besten Zelte und konnte dort aus riesigen Krügen Bier trinken, soviel er wollte und konnte.

Das Hotelzimmer wurde ebenfalls von der anderen Bank reserviert. Bezahlen muss es allerdings Xaviers Arbeitgeber. Die Kosten sind hoch, denn gerade rund um das Oktoberfest schnellen die Preise dramatisch nach oben. Aber das macht natürlich nichts, denn Xavier hat dafür vollstes Verständnis von seinem Chef. Dieser beneidet ihn dafür sogar. Das Oktoberfest dient in diesem Fall natürlich der Geschäftsanbahnung und der Kontaktpflege. Diese ist für Banker selbstverständlich enorm wichtig.

Die eigens angeschaffte Lederhosn samt Trachtenhemd und Schuhen, dazu ein Trachtenjäckchen und selbstverständlich gemodelte Stutzen, musste Xavier allerdings aus eigener Tasche bezahlen. Aber das macht nichts, das meiste von den Ausgaben holt er sich über seine Reisekostenpauschale wieder herein. Schließlich erhält Xavier für jeden Tag, den er sich auf Dienstreise befindet, satte Diäten. Und da die Reise mit Anreisetag, dann der Tag des Festes und hinterher noch der Abreisetag drei volle Tage in Anspruch nimmt, kommt schon wieder ein bisschen Geld zusammen. Nicht, dass Xavier hier sparen müsste, aber er will natürlich auch nichts verschenken.

Im Zelt selbst wird eifrig getrunken, geprahlt und mit lauten Männerstimmen erzählt, wie toll und erfolgreich doch jeder der Anwesenden ist. Frauen sind übrigens kaum vertreten. Aber das macht nichts, meint Xavier, denn für die wären die riesigen Bierkrüge ohnedies zu schwer und die Schweinshaxn zu fett. Von beidem gönnen sich die Banker übrigens auf Kosten des Gastgebers reichlich. Dazu noch die ein oder andere Brezn, und das Glück der Banker ist perfekt.

Am Tisch entbrennt eine heftige Diskussion, wer von den vielen Bankern bisher am öftesten beim Oktoberfest war, wie viele Tage hintereinander und von wem man bisher eingeladen wurde. Denn auch bei den Gastgebern ist nicht jeder gleich gut. Je wichtiger der Name, desto mehr zählt die Einladung! Die besten Banker erhalten natürlich die meisten Einladungen von den besten Adressen, und das sowieso jedes Jahr und für mehrere Tage. Da fühlt sich Xavier etwas zurückgesetzt und ungerecht behandelt, denn in diesem Jahr hat er nur eine Einladung für einen Abend erhalten. Hat er etwas falsch gemacht? Oder übertreiben die anderen Banker?

Irgendwann beginnt ein anderer Wettbewerb zwischen den Bankern auf dem Oktoberfest. Wer kann mehr Bierkrüge leeren? Alle sind grundsätzlich ziemlich trinkfest, und so zieht es sich ein wenig, bis die ersten auf die Bänke springen, um wild zu tanzen. Die einfachen Bierbänke biegen sich unter dem Gewicht der schweren Männer mit ihren Bierkrügen. Diese beginnen zunächst zaghaft, und dann immer bestimmter, im Gleichklang auf und ab zu springen. Die Banker wundern sich über die Physik von Bierbänken, und wie biegsam diese doch sein können! Sie lachen und gröhlen aus vollem Halse, und ihr Tanz wird immer wilder.

Irgendwann kippt die Bank dann um. Wer sich nicht mehr selbst vom Boden aufrappeln kann, wird ohne viel Aufsehens von den Ordnern nach draußen getragen. Auch die, die zwischendurch von den Bänken purzeln und am Boden liegen bleiben, werden schnell aufgesammelt. Das geschieht sehr ruhig und routiniert. Die Ordner scheinen das wohl regelmäßig zu machen. Die anderen, die es wieder selbst auf die Bierbank schaffen, bekommen davon nicht viel mit und springen weiter. Sie lachen und gröhlen und singen unanständige Lieder. Xavier fühlt sich männlich, stark und ist sowieso von allen wieder der allerbeste! So fühlen sich auch die anderen Banker, die mit ihm da sind. Den wenigen vorbeikommenden Frauen sowie dem Bedienungspersonal, das ständig neue, schwere Bierkrüge heranschleppt, wird in den Po gekniffen, und dazu wird unbändig gelacht.

Wie es Xavier wieder zurück in sein Hotel geschafft hat, ist ihm am nächsten Morgen nicht zur Gänze klar, aber das macht nichts. Er ist überzeugt, einen tollen Abend verbracht zu haben. Den Bluterguss am Oberarm und das zugeschwollene Auge nimmt er mit einem Achselzucken zur Kenntnis und bestellt beim Room Service neben einem Espresso und Aspirin auch einen Beutel Eis. Den legt er sich den Rest des Morgens abwechselnd auf die schmerzende Stirn und das geschwollene Auge.

Mit der Bank, die ihn eingeladen hat, wird er gleich im Anschluss und dann wieder im nächsten Jahr, kurz vor dem Oktoberfest, einige Geschäfte machen. Zusätzlich muss Xavier aber recherchieren, wer von den besseren Namen der Branche ebenfalls Tische im Zelt reserviert. Zu diesen Leuten muss er unbedingt bis dahin bessere Kontakte knüpfen. Es geht schließlich ums Geschäft! Und um den guten Ruf! Er will sich im nächsten Jahr nicht wieder die Blamage geben, der Banker mit den wenigsten Oktoberfest Einladungen zu sein!

Die Bank, die Xavier dieses Mal zum Oktoberfest eingeladen hatte, wird ihn wohl auch nächstes Jahr wieder einladen. Denn auch wenn das Bier und die Schweinshaxn unverhältnismäßig teuer sind, so ist es in Summe ein Pappenstiel, den sie schon mit dem ersten, guten Geschäft wieder mehrfach wettgemacht haben.

Xavier stört das wenig. Natürlich weiß er, was sich gehört und wie der Hase läuft. Aber schließlich geht es nicht um sein Geld, und die Geschäfte müsste er ohnedies mit jemandem machen. Da kann er den Trade genau so gut mit der Bank abschließen, die ihn ein bisschen dafür motiviert. Eine Hand wäscht die andere, war das nicht schon immer so? Und dann ist da noch das alte Banker-Sprichwort: Alkohol erhält die Freundschaft. Na dann, Xavier, Prost!