Wenn Xavier sich umsieht in seinem Großraumbüro, sieht er Reihen über Reihen nur Männer. Manchmal sitzt da auch eine Frau, meistens allerdings als „Teamassistentin“, also jemand, der kopiert, Reisen abrechnet, Büromaterial besorgt, Besprechungen vorbereitet und die Telefone beantwortet, wenn sich sonst niemand zuständig fühlt. Vereinzelt, aber nur sehr vereinzelt, arbeiten auch Frauen als Fondsmanagerinnen oder im Vertrieb in Xaviers Großraumbüro. Sie sind dann aber oft nicht besonders hoch in der Hierarchie. Die Eckbüros gehören den Männern. So war es schon immer, und, so denkt Xavier, wird es auch weiterhin sein.
Warum das so ist, darüber hat Xavier schon häufig sinniert. Liegt es daran, dass die Finanzbranche Männer mehr anzieht und sich deshalb mehr Männer bewerben, oder werden Männer einfach mehr gefördert, befördert und Frauen damit verdrängt? Die Arbeitszeiten, der Arbeitsdruck, das sind häufig Argumente der Männer, das würden die Frauen nicht durchhalten. Dabei gibt es immer wieder Studien, die zeigen, dass Frauen die vorsichtigeren und umsichtigeren Investoren sind. Vorsicht, Umsicht, Rücksicht? Ah, denken Xavier und seine Kollegen, das ist etwas für Loser. Die Investmentbranche ist einfach etwas für richtige Männer. Ein bisschen so wie Autorennsport. Normale Autos fahren Frauen ähnlich gut wie Männer, das wird ihnen auch (meistens) zugestanden, aber Rennsport? Nein, das ist etwas für Männer, und wenn doch mal eine Frau mitfährt, dann ist sie eine Exotin.
Woran es genau liegt, das weiß auch Xavier nicht. Einen Verdacht hat er allerdings. Viele selbst gebildete Männer lieben es, der Welt zu imponieren. Ein bisschen so wie der männliche Gorilla im Urwald brüllt und sich laut auf die Brust klopft, zeigen Männer gerne auf menschliche Art, wie stark und wichtig sie sind. Teure Autos, Uhren, schöne Partner, Geld und Luxus, so vergänglich diese sind, viele Männer lieben ihre Statussymbole. Selbstverliebt, egoistisch und oberflächlich versuchen sie, einander zu überscheinen. Nicht alle Männer sind so, erklärt uns Xavier, aber doch genug. Und die haben besonders in der Finanzbranche Erfolg, wo es zu einem gewissen Teil auch Skrupellosigkeit, Egoismus und Ellgenbogen braucht, um weiter zu kommen und erfolgreich zu sein.
Gebildete Frauen, so denkt Xavier, haben meistens andere Werte. Ihnen geht es häufig um die Sache, den Inhalt, sie wollen an der Substanz arbeiten. Sie sind einfach nicht so oberflächlich, egoistisch und skrupellos wie ihre männlichen Kollegen. Und damit kommen sie nicht weiter. Sie geben auf oder, wenn sie klug sind, versuchen sie es erst gar nicht. Gegen die männlichen Gorillas und bunten Gockel kommen sie mit Ehrlichkeit, Fleiß und Wissen ohnedies nicht an.
Also arbeitet Xavier weiterhin inmitten der Gockel und Gorillas, die einander mit wenig Substanz aber viel Getöse zu beeindrucken versuchen. Xavier selbst? Er ist zufrieden, zumindest ein selbstreflektierender Gorilla im Investmentdschungel zu sein…