Wie viele seiner Kollegen ist auch Xavier häufig frühmorgens auf einem der großen Flughäfen in den Finanzzentren London oder Frankfurt unterwegs. Dort bietet sich ihm, wie er erzählt, immer das gleiche Bild. Im Wartebereich vor dem Gate zum ersten Flug ins jeweils andere Finanzzentrum warten Herren zwischen 25 und 45. Sie tragen allesamt schwarze Anzüge, haben Gel in den Haaren, vor ihnen steht ein Trolley, der gerade noch so als Handgepäck durchgeht (oder auch nicht, aber das traut sich ihnen niemand von der Fluggesellschaft zu sagen), und sie tippen alle wie wild auf ihren Tablets und Telefonen, als ginge es um einen Wettbewerb. Im Winter haben sie ihre schwarzen Mäntel demonstrativ über den Sitz neben sich geworfen, gleichgültig, ob andere Passagiere deshalb keinen Platz finden und stehen müssen. Keiner spricht mit dem anderen, allesamt tun sie wichtig, und aus den Augenwinkeln beobachten sie sich misstrauisch und fragen sich, von welcher Investmentbank oder Anwaltskanzlei der jeweils andere wohl sein mag.

Kaum wird der Flug aufgerufen, stürmen sie ans Gate. Zuerst einsteigen ist wichtig, damit der viel zu große Trolley noch in die Handgepäcksfächer passt. Also schnellen Schrittes ins Flugzeug, im Zweifelsfall vorbei an normalen Passagieren, die sich dummerweise in diesen ersten Flug am frühen Morgen verirrt haben.

Im Flugzeug angekommen, wird zuerst der schwere, große Trolley ins Gepäckfach gehievt. Der Trolley nimmt den Platz für Handgepäck von mindestens vier Passagieren weg, im Winter kommt der Mantel nochmal obendrauf. Das Spiel mit dem Trolley machen alle diese schwarz gekleideten Banker sowohl in der Business- als auch der Economyklasse. Den einfachen Fluggästen bleibt nur ein Seufzer der Verzweiflung und die Notlösung übrig, ihre Taschen unter den Sitz zu packen und sich damit ihrer ohnedies mageren Beinfreiheit vollends zu berauben.

Weiter geht es mit den Armlehnen. Die Banker haben die Gangplätze besetzt, teilweise auch die Fensterplätze. Ihre Sekretärinnen haben ihnen schon vor vielen Tagen die ersten und damit besten Plätze gesichert. Übrig für Normalreisende bleiben die unbeliebten mittleren Sitze.

Das übergroße Ego der Banker erstreckt sich aber viel weiter. Das ungeschriebene Gesetz im Flugzeug, dass die Armlehne dem Mittelsitz zu überlassen sei, gilt für Banker nicht. Der Otto-Normal-Flugreisende kann froh sein, wenn er nicht auch noch die Ellbogen eines Bankers in den Rippen hat.

Wer jemals einen solchen Morgenflug von London nach Frankfurt oder umgekehrt als normaler Fluggast überstehen musste, die Beine eingeengt durch Handgepäck, die eigene Jacke auf dem Schoß, weil eben kein Platz im Fach oberhalb war, die Arme eng am Körper, weil beide Armlehnen besetzt sind, und ständig gegen Ellbogen von links und rechts kämpfend, das Gesichtsfeld eingeengt durch überdimensionierte Finanzzeitungen, der überlegt es sich zweimal, nochmals den gleichen Flug zu buchen.

Umso schwieriger, sagt Xavier, wird es für Banker, denn immer öfter sind sie beinahe ausschließlich unter ihresgleichen. Und sie schenken sich nichts. Es ist ein schweigender aber harter Kampf, der sich jeden Morgen abspielt. Am härtesten wird es aber, sobald das Flugzeug auf die Landebahn aufgesetzt hat. Dann springen sie allesamt auf, die Herren in ihren schwarzen Anzügen, reißen ihre Koffer aus den Fächern, ziehen sich alle gleichzeitig und dadurch mühsam ihre Mäntel über, gleichgültig, was die Stewardess durchs Mikrofon ruft. So stehen sie gedrängt und in unbequemer Haltung im engen Gang, bis das Flugzeug endlich nach vielen Runden durch das Flughafengelände tatsächlich auch anhält. Zur Strafe, so vermutet Xavier, lässt sich die Flugbegleiterin dann extra viel Zeit, um die Tür zu öffnen. Manchmal fragt sich Xavier auch, was die Stewardess wirklich denkt, wenn sie mit einem freundlichen Lächeln jedem der arroganten und stummen Gesichter, die ihre Trolleys gegen ihre Knie schlagen, Auf Wiedersehen wünscht.