Xavier ist sehr nervös. Wir begleiten ihn heute zu einem wichtigen Termin. Er muss vor Gericht als Zeuge aussagen. Es geht um ein insolventes Unternehmen. Irgendwie, so der Vorwurf, hätte ein Finanzprodukt, das in diesem Fall Xavier dem Unternehmen verkauft hatte, womöglich zuerst zur Verschleierung und dann zur Verschlimmerung der Lage beigetragen.

Xavier ist da natürlich ganz anderer Meinung. Zugegeben, das Finanzprodukt war ziemlich kompliziert, aber das ganze Leben sei nun mal kompliziert, erklärt uns Xavier. Schließlich war alles lückenlos dokumentiert und er hatte alle Risiken erklärt. An der grundsätzlichen Schieflage des Unternehmens sei er sowieso nicht beteiligt gewesen, betont Xavier uns gegenüber. Das hätte sich der Unternehmer selbst eingebrockt. Dass er als Banker danach versucht hätte, aus der Notlage Profit zu schlagen, weist Xavier ebenfalls zurück. Ganz im Gegenteil, versichert Xavier dann auch der Richterin, er war sozusagen der Retter in der Not! Und sowieso würde er sich immer und überall an alle Gesetze halten! Aber eigentlich, so erinnert ihn die Richterin, sei Xavier bei Gericht, um das Finanzprodukt hier allen verständlich zu erklären.

Xavier schweigt eine Minute nachdenklich. Wir hegen den nicht ganz so abwegigen, leisen Verdacht, dass er es selbst nicht durchblickt. Und nun soll er etwas erklären, von dem er selbst keine Ahnung hat. Wir halten die Luft an und warten mit Spannung.

Doch Xavier meistert die Sache phänomenal. Wir sind beeindruckt, überzeugt und völlig begeistert von Xaviers Talent, eine auch ihm selbst völlig unverständliche Sache so gekonnt und doch nichtssagend zu erklären, dass niemandem auch nur eine einzige Frage einfällt, die man dazu noch haben könnte, so verwirrend und unklar ist die Sache. Dabei haben gleichzeitig alle, die zugehört haben, das Gefühl, dass bestimmt alle anderen im Raum die Sache wunderbar verstanden haben, alles sowieso wahrscheinlich sehr einfach sein müsse, und man sich mit jeder Frage einfach nur blamieren würde. Und sowieso, wenn es dieser kluge Banker so sagt, dann wird es schon so sein. Der kennt sich sichtlich aus! Wir ziehen den Hut vor Xavier, dass er selbst hier, vor Gericht, die Nerven nicht verliert, sondern völlig überzeugend sein Ding durchzieht.

Am Ende lässt es die Richterin dabei bewenden und sieht ein, dass sie das Finanzprodukt wohl nie verstehen wird. Sichtlich angestrengt und ermüdet verkündet sie eine Verhandlungspause und entlässt Xavier, nachdem sie ihm dafür gedankt hat, dass er, der sicher viel beschäftigt ist, hier alles so schön erklärt hat.

Nach dem Gerichtstermin gehen wir mit Xavier auf einen Kaffee. Doch nach dieser Sache braucht nicht nur Xavier einen Schnaps, sondern wir auch. Wir gratulieren Xavier zu seiner beeindruckenden Leistung und geben zu, dass wir für einen Moment gedacht hatten, er hätte keine Ahnung von dem Finanzprodukt, um das es ging.

Da lacht Xavier nur laut und genehmigt sich einen weiteren Schnaps: „Ehrlich, ich hatte nicht nur keine Ahnung, ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass ich diesen Idioten dieses Produkt jemals verkauft habe, und schon gar nicht, warum überhaupt. Ich weiß nur noch, dass ich damit außergewöhnlich viel Provision verdient habe!“