Xavier wurde vor Kurzem von der Polizei angehalten. Wir erinnern uns. Der Polizist hatte Xavier damals ein neues Foto für seinen Führerschein verordnet. Das alte, bisherige Foto, auf dem Xavier noch 18 Jahre jung ist, muss nun durch ein aktuelleres ersetzt werden. Xavier sieht das zwar anders, aber gegenüber der Allmacht der Exekutive sind selbst Xavier die Hände gebunden und er muss sich zähneknirschend fügen.

Xavier erzählt uns, dass er beim Fotografen war. Für ein Führerscheinfoto, so dachte sich Xavier, kann man sicherlich zu jedem beliebigen Fotografen gehen. Also war er beim nächstbesten im Einkaufszentrum unweit des Büros der Bank. Aber weit gefehlt! Welch schreckliche Erfahrung! Das Foto, das ihm der Fotograf für den Führerschein gab, sah entsetzlich aus! Scheußlich! Absolut schrecklich! Er sah darauf alt aus!

Also ging Xavier zum nächsten Fotografen. Doch auch dieser, so erzählt uns Xavier kopfschüttelnd, verstand nichts von seinem Metier. Wieder nur ganz schreckliche Bilder! Beim dritten Fotografen war die Sache nicht viel anders.

Nach einigem Recherchieren fand Xavier einen mittelmäßig bekannten Modefotografen, der neben Models schon die Vorstände diverser Unternehmen und Banken für den ein oder anderen Geschäftsbericht abgelichtet hatte . Die Assistentin dieses einigermaßen berühmten und ziemlich gefragten und gut ausgebuchten Fotografen dachte zuerst an einen Scherz, als Xavier sein Anliegen „Führerscheinfoto“ vorbrachte. Dafür könne er doch einfach zum nächstbesten Fotoladen gehen, meinte auch der Modefotograf, nachdem sich Xavier einfach nicht abwimmeln lassen wollte. Doch Xavier versicherte, dass das absolut keine Option war und er jeden Preis zahlen würde.

Auch Fotografen sind käuflich, und die Bemerkung Xaviers, jeden beliebigen Preis zu zahlen, lässt offensichtlich selbst einigermaßen berühmte Modefotografen auf das Niveau eines Führerscheinfotos sinken.

Was folgte, so berichtet uns Xavier, war ein zweistündiges Fotoshooting in einem eigens angemieteten, wirklich schicken Loft. Der Fotograf war mit einem Lichttechniker, einer Stylistin sowie einer Assistentin angekommen. Alle waren schwer mit Ausrüstung beladen und beeindruckten Xavier sichtlich. Die Stylistin vollbrachte wahre Wunder, und auch das Haarteil, das sie für Xavier parat hatte, passte wunderbar. Die Leute verstanden etwas von ihrem Beruf, da war sich Xavier sicher. In allen möglichen Positionen und mit jeder Menge Hintergründe wurden von Xavier hunderte Fotos geschossen. Der Fotograf lag mal am Boden, dann kniete er wieder vor Xavier, und wenn er weder lag noch kniete, dann machte er zumindest artistisch anmutende Verrenkungen.

Die Fotos wurden danach selbstverständlich noch bearbeitet. Das Ergebnis: Ein wunderschönes Foto für Xaviers Führerschein. Xavier war zufrieden mit dem Ergebnis und beeindruckt davon, wie gut der Fotograf ihn getroffen hatte.

Was der Spaß gekostet hat wollen wir wissen. Zunächst ist Xavier etwas zurückhaltend und versucht, vom Thema abzuleken. Aber wir lassen nicht locker. Fünfstellig, erfahren wir bloß, aber selbst das lässt uns die Kinnlade herunter klappen.

Doch damit war die Geschichte noch nicht zu Ende. Der Höhepunkt des Dramas folgte am Verkehrsamt. Der Sachbearbeiter, der Xaviers neuen Führerschein ausstellen sollte, betrachtete das Foto, das Xavier ihm stolz präsentierte, dann Xavier, wieder das Foto, und gab es Xavier mit den Worten zurück: „Der Mann auf dem Foto mag Ihnen zwar irgendwie ähnlich sehen, aber das sind nicht Sie!“

Glücklicherweise hatte Xavier noch die Fotos des Einkaufscenter-Fotografen in der Tasche. Damit war der Sachbearbeiter dann zufrieden: „Ja, das sieht schon eher nach Ihnen aus!“ Während der gesamten Zeit schüttelte der Beamte ungläubig den Kopf. Xavier schüttelte ebenfalls den Kopf und meinte genervt: „Sie tun so, als hätte ich Ihnen ein Foto der Englischen Queen oder vom Papst gegeben!“ Das wiederum fand der Sachbearbeiter gar nicht lustig, und für die weitere Zeit der Ausstellung des Führerscheins musste Xavier im Vorraum Platz nehmen.

Als sich Xavier bei der Assistentin des berühmten Modefotografen beschweren wollte, lachte diese nur: „Ja, denken Sie etwa, wenn jemand Cindy Crawford auf der Straße sieht, dass sie jemand erkennt? Niemand sieht in Natur aus wie auf dem Cover eines Modemagazins! Wir machen ästhetische Kunst!“ Doch auf Xaviers Frage, ob sein Foto nun zumindest in einem Modemagazin erscheinen könnte, wenn es schon nicht für den Führerschein akzeptiert wurde, hörte er am anderen Ende nur noch hysterisches Gelächter und danach war die Verbindung unterbrochen.

Das schöne Foto vom einigermaßen berühmten Modefotografen hängt nun in Xaviers Ahnengalerie. Auch wenn es Xavier etwas nervt, dass viele, die sich die Bilder ansehen, fragen, ob der Mann auf dem Foto ein naher Verwandter von Xavier sei.