Darüber, ob es in der Vergangenheit ethisch korrekt von Investmentbanken war, Zinsswaps mit Kommunen, Stadtwerken, Ärzten, mittelständischen Unternehmen und öffentlich-rechtlichen Trägern abzuschließen, ließe sich endlos diskutieren. Wahrscheinlich war es das nicht. Aber nicht alles, was nicht ethisch ist, ist auch gleichzeit illegal. Lange Jahre ging das Geschäft auch gut, die Kommunen (da medial am stärksten vertreten hier als Beispiel genommen) haben jahrelang gute Geschäfte mit mal mehr mal weniger komplex strukturierten Zinsswapgeschäften gemacht. Doch dann wendete sich das Blatt. Die Kommunen erlitten herbe Verluste. Und wie das bei Derivaten nun mal so ist: Man kann mehr verlieren als seinen Einsatz. Der mögliche Verlust ist je nach Ausgestaltung nicht auf den Nominalbetrag begrenzt, sondern kann theoretisch ins Unendliche gehen. Theoretisch wohlgemerkt. Aber ein negativer Barwert von 20 Mio Euro auf ein Nominal von 10 Mio Euro tut auch weh. Und wer schon mal so weit hinten liegt bei einem Geschäft und sowieso hoch verschuldet ist, wie es so manche Kommune nun mal ist, der hat auch nichts mehr zu verlieren. Also wird mal geklagt. Was soll schon passieren? Im schlimmsten Fall kommen die Prozesskosten hinzu, die Katastrophe ist sowieso schon da. Im besten Fall einigt man sich in einem Vergleich, und der Kommune werden vielleicht 10 Mio Euro erlassen. Im allerbesten Fall spricht der Richter sogar zugunsten der Kommune und erlässt ihr die ganzen 20 Mio Euro. Bei so einem Chancen-Risiko-Verhältnis, wer würde da nicht auch klagen? Ein bisschen auf dumm machen, von wegen habe ich nicht gewusst, konnte ich nicht wissen, dafür war ich nicht qualifiziert, und sowieso die bösen Banken, die haben mir dies und das nicht gesagt oder genug erklärt. In extremen Fällen (ein medial breit getretenes Beispiel ist das Land Salzburg) bringt man ein Bauernopfer und beurlaubt den zuständigen Beamten, der sich die Zinsderivate aufschwatzen hat lassen, für eine gewisse Zeit. Den Kommunen in die Hände spielt dabei , dass Richter meistens gar nicht verstehen, worum es geht, wie Derivate und Zinsswaps funktionieren (zugegeben ein sehr spezielles Fachgebiet, das mit dem alltäglichen Leben eines Richters oder sonstigen Bürgers absolut nichts zu tun hat).
Die Investmentbanken stehen hier mit dem Rücken an der Wand. Sie haben wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren. Klar, in den Jahren der Abschlüsse dieser Geschäfte haben sie satte Margen und damit Gewinne gemacht. Aber die Risiken selbst sind längst über die Kapitalmärkte abgesichert und damit auf andere verteilt. Der Verlust der Kommune ist nicht ident mit dem Gewinn der Bank. Ob die Marge zu Beginn unverschämt hoch war (das war sie in den meisten Fällen ganz bestimmt, denn Kommunen und andere „Dumme“, die Preise nicht nachrechnen konnten und auch keine Vergleichspreise einholten, wurden mit höheren Margen bedacht als „informierte Kunden“), aber das hat nichts mehr mit dem zu tun, was danach mit den Produkten passiert ist. Die Zahlungsströme hat die Bank bereits weitergegeben an einen Hedgepartner, und der hat diese wahrscheinlich wieder irgendwo im Markt verteilt. Wer am Ende den Gewinn einfährt, den die Kommune als Verlust macht, das ist nicht mehr nachvollziehbar. Nicht jedeoch die beklagte Bank.
Leid tun muss uns die Bank nicht, sie hat den Kunden am Anfang womöglich mit einer zu hohen Marge über den Tisch gezogen. Damit hat sie sich bereichert. Aber Schuld an den Verlusten trägt sie nun auch nicht direkt. Zudem haben die Vertriebsleute, die diese Zinsswaps an die Kommunen verkauft haben, in den Abschlussjahren satte Bonuszahlungen erhalten und arbeiten jetzt womöglich schon lange bei einem anderen Arbeitgeber. Die Fluktuation ist groß im Bankgeschäft.
Viele Kommunen berufen sich deshalb heute auf Falschberatung. Aber mal ehrlich, ein bisschen klarer Menschenverstand hätte ausgereicht, um zumindest misstrauisch zu werden. Was denkt denn ein Kämmerer, wenn plötzlich Scharen gestriegelter Bankern bei ihm auftauchen, nett zu ihm sind, ihn zum Essen einladen, Geschenke schicken, eingeflogen kommen aus Frankfurt, London oder gar New York? Und unmöglich zu verstehen waren die Produkte meist nicht. Sie verfolgten in den meisten Fällen das Ziel, bei einer bestimmten Entwicklung von Zinsen oder Wechselkursen einen Gewinn für die Kommune abzuwerfen. Und wenn nicht, dann eben Verluste. Dass sich Zinsen und Währungen auch anders entwickeln können wie man sich das erhofft hat, nun ja, das ist leider Teil des Spiels. Und ein solches war es womöglich auch. Aber hier auf Falschberatung zu plädieren und in vielen Fällen Recht zu bekommen, nun ja, ob das richtig ist? Und dass Banken fette Margen oder Gebühren berechnen, wer konnte das bloß ahnen? Möglicherweise sollten sich beide Seiten an der Nase nehmen.

Nun aber zurück zu den Prozessen, die in den letzten Jahren geführt wurden und noch immer geführt werden. Der Ausgang kann nicht vorhergesagt werden. Wie ein sehr guter Bekannter immer sagt: „Auf hoher See und vor Gericht gelten andere Regeln.“ Genau so gut kann man würfeln, wie der Richter urteilen wird. Die Urteilsbegründungen zeigen oft genug auf haarsträubende Art und Weise, wie sehr es an Wissen und Verständnis von Seiten des Gerichts fehlt. Banken tendieren vielleicht auch deshalb zu Vergleichen. Der Ausgang ist nicht zu berechnen. Der mögliche Verlust ist hoch. Noch nicht eingepreist ist die Rufschädigung, die mit Urteilen einher geht. Also lieber die Zähne zusammen beißen als Bank und zahlen? Die Kommunen freut das. Was haben sie auch zu verlieren?

Hier einige Zitate aus tatsächlich ergangenen Urteilen:
„Die Beklagte hat bei Abschluss sämtlicher Swap-Verträge ihre Aufklärungspflichten aus dem Beratungsvertrag dadurch verletzt, dass sie die Klägerin nicht darüber aufgeklärt hat, dass und in welcher (zumindest) ungefähren Höhe der von ihr empfohlene Vertrag zum Abschlusszeitpunkt einen negativen Marktwert aufwies.(…) Danach musste die Beklagte die Klägerin über den von ihr bewusst strukturierten negativen Anfangswert der Swap-Verträge aufklären.“ Aus einem Urteil Kommune gegen deutsche Großbank im Juli 2013. Dazu sei angemerkt, dass zum Abschlusszeitpunkt Zinsswap Geschäfte immer zu einem NPV (Net Present Value oder Barwert) von Null gepreist werden. In manchen Fällen werden Auszahlungen aus dem Vertrag an den Anfang gezogen, um Verluste aus anderen Geschäften oder Krediten auszugleichen, aber der Barwert ist deshalb trotzdem Null. Der Barwert scheint den Richtern hier eine völlig unbekannte Größe zu sein. Der Barwert, liebe Richter, ist die Summe aller Zahlungsströme, auf den heutigen Tag abgezinst. Und da werden Sie sehen, dass sich beide Zahlungströme (der des Zahlers und des Empfängers aus dem Swapgeschäft) am Abschlusstag absolut ausgleichen (abzüglich Gebühren versteht sich). Das Gericht hat also für den Kläger geurteilt, weil die Bank eine Marge berechnet hat. Es meint dann weiter, es wäre irrelevant, ob die Bank dem Kunden was von den Gebühren (der Marge) gesagt hat, denn: „Wäre der anfängliche Marktwert positiv oder hätte den Wert „null“, müsste sie den Kunden nicht auf die einstrukturierte Marge hinweisen.“ Nun, dann hätte der Kunde eine Marge verdient, nicht aber die Bank. So rum funktioniert das System nun mal nicht… War das jemandem nicht klar, der mit Investmentbanken Geschäfte gemacht hat?

„Mit dem Beratungsvertrag übernimmt die Bank die Pflicht, eine allein am Kundeninteresse ausgerichtete Empfehlung abzugeben. Sie muss daher Interessenkollisionen, die das Beratungsziel in Frage stellen und die Kundeninteressen gefährden, vermeiden bzw. diese offen legen.“ Aus einem Urteil deutsche Kommune gegen deutsche Großbank Juli 2013. Wo leben die Richter, auf dem Mond? Natürlich ist die Bank nicht ohne Interessenskonflikte. Schließlich will die Bank Geld verdienen, je mehr je besser, und je komplexer die Produkte desto mehr Marge lässt sich einpreisen.
Aber es geht weiter: „Bei der Empfehlung eines Swap-Vertrages, bei dem der Gewinn der einen Seite der spiegelbildliche Verlust der anderen Seite ist, befindet sich die Beklagte als beratende Bank in einem schwerwiegenden Interessenkonflikt. Als Partnerin der Zinswette übernimmt sie eine Rolle, die den Interessen des Kunden entgegengesetzt ist.“ Tja, so ist das aber nunmal bei allen Absicherungsgeschäften, Wetten, und selbst bei normalen Versicherungen. Das ist wie eine Wippe, einer geht rauf, einer runter. Aber wer mal oben oder unten ist, das hängt in diesem Fall vom Kapitalmarkt ab. Selbst wenn sich ein Exporteur gegen einen steigenden Euro Wechselkurs absichert, sitzt einer am anderen Ende, der je nach Kursentwicklung verliert wenn der Exporteur gewinnt und gewinnt wenn der Exporteur verliert. Aber wo liegt hier ein Vergehen der Bank? Wissensassymmetrie vielleicht, aber davon wird nicht gesprochen.

„Es ist offensichtlich, dass die Beklagte Kenntnis von dem in den Vertrag einstrukturierten negativen Marktwert hatte, (…), und zugleich wusste, dass die Klägerin nicht in der Lage war, dessen Bedeutung für die sich aus dem Swap-Vertrag ergebenden Chancen und Risiken sowie die Notwendigkeit eines Risikomanagements zu erfassen.“ Behaupten hier die Richter tatsächlich, die Gebühr der Bank wäre ein Hinweis auf das enthaltene Risiko des Geschäfts? Der Kunde kannte die Höhe der Gebühr nicht, und dehalb hat er kein Risikomanagement betrieben? Hallo, schon mal was von Marktbewegungen, Volatilität, Optionspreismodellen, Zinssätzen, Forwards, Zeitwert, ect. gehört, die Einfluss auf Wertentwicklungen haben?

Noch interessanter wird es, wenn Richter über Kündigungsrechte urteilen: „Die unterschiedliche Gewichtsverteilung zwischen Gewinnchancen für den Anleger und für die Bank, die unbestreitbar insbesondere wegen des einseitigen Kündigungsrechts der Bank vorliegt,…“ Aus einem Urteil im November 2010 zwischen einem mittelständischen Industrieunternehmen gegen eine Investmentbank. Kündigungsrechte sind nichts anderes als eingebaute Optionsrechte. Diese haben einen Wert und werden von einer Partei an die andere verkauft. Die Bank mag Kündigungsrechte haben, dafür hat sie aber dem Industrieunternehmen den Preis gutgeschrieben. In einem Zinsswap Geschäft wird eine solche Gutschrift entweder vorab als Auszahlung geleistet (das war bis etwa 2007 gängig, danach wegen hoher Fundingkosten der Banken zunehmend unüblich), oder aber über die Laufzeit des Geschäfts verteilt und in die Zinszahlungen inkludiert. Am Beginn des Geschäfts gibt es deshalb für niemanden einen Vor- oder Nachteil. Die Kündigungsrechte, die der Kunde an die Bank verkauft hat, haben die Konditionen auf seiner Seite verbessert. Ohne Kündigungsrechte müsste er zum Beispiel 5% pro Jahr bezahlen, durch die Kündigungsrechte nur noch 4% pro Jahr. Zu Kündigungsrechten gibt es eine Reihe besonders haarsträubender Urteile. Dass Optionen eine Prämie (=Preis) wert sind, diese Information geht oft an Richtern vorbei.

Eine hoch interessante Materie, die noch viel Stoff für Studien bietet. Nicht allen Klägern wird Recht gegeben, viele scheitern auch und müssen ihre Schulden bezahlen. Irgendwann werden die alten Gechäfte auch abreifen und die Ansprüche verjähren, und es bleibt nur zu hoffen, dass sowohl Banken als auch Kunden gelernt haben, vorsichtiger mit komplexen „Zinsoptimierungsstrategien“ umzugehen.